Produktionsland: GB
Produktion: Peter Snell
Erscheinungsjahr: 1973
Regie: Robin Hardy
Drehbuch: Anthony Shaffer
Kamera: Harry Waxman
Schnitt: Eric Boyd-Perkins
Musik: Paul Giovanni
Länge: ca. 84 Minuten (Kinofassung) / 100 Minuten (Director´s Cut)
Freigabe: FSK 16
Darsteller: Edward Woodward, Christopher Lee, Diane Cilento, Britt Ekland, Ingrid Pitt, Lindsay Kemp, Russell Waters, u.a.
Inhalt:
Der Polizist Howie untersucht das merkwürdige Verschwinden eines jungen Mädchens auf einer abgeschiedenen schottischen Insel. Dort angekommen, macht er nicht nur Bekanntschaft mit den sonderbaren Inselbewohnern, sondern auch mit Lord Summerisle, der scheinbar die größte Autoritätsperson auf dem Eiland ist. Der streng konservative Christ ist entsetzt über das freizügige, geradezu hippieske Verhalten der Inselbewohner, die obendrein merkwürdige heidnische Rituale zu pflegen scheinen. Als er erkennt, was es mit der Insel und ihren Bewohnern wirklich auf sich hat, ist es längst zu spät...
Trailer:
Meine Meinung:
"The Wicker Man" ist einer der sonderbarsten und sperrigsten (zumindest für ein "normales" Publikum) Filme überhaupt, und das, obwohl er in einer Ära entstand, in der halluzinogenes/psychedelisches Kino keine Seltenheit war. Und dennoch (oder vielleicht auch gerade deswegen) gehört er zu den schönsten Filmen, die im surrealistischen Bereich je entstanden sind. Meiner Meinung nach steht er auf einer Stufe mit Jodorowskys "Holy Mountain" oder Bunuels Kurzfilmklassiker "Der andalusische Hund", obschon er weder inhaltlich noch formell mit diesen vergleichbar ist.
Die Stimmung des Films ist sehr schwer zu beschreiben, ebenso kann man ihn nur schwer in ein Genre einordnen. Er ist einzigartig und mit keinem anderen Film wirklich vergleichbar.
Am ehesten würde man "The Wicker Man" wohl noch mit der Etikettierung "Mystery" gerecht werden, denn sonderbar und mysteriös ist vieles an ihm. Sein Protagonist, ein erz-katholischer Polizist vom Festland, trifft auf der Insel auf eine keltisch-heidnische (also vorchristliche) Gemeinschaft, die mit ihrem naturverbundenem Brauchtum bei der verklemmten, christlich-dogmatischen Hauptfigur des Films auf starken Widerstand stößt. Er wittert Blasphemie und archaisches Opfer-Brauchtum, welchem das verschwundene Mädchen zum Opfer gefallen sein könnte. Aus diesem Gegensatz von streng-konservativem Katholizismus, welcher vom Polizisten als moderne, einzig gültige Religion angepriesen und verteidigt wird, und dem erdverbundenen, "fröhlichen" Heidentum der "rückständigen" Inselbewohner mit seinen Tänzen, Liedern und Fruchtbarkeitsritualen, bezieht der Film seinen eigentlichen Reiz. Das angeblich "Gestrige" (die Brauchtümer der Insel-Gemeinschaft) wird als unverklemmter Umgang mit der Natur und eigenen Natürlichkeit (dargestellt durch etliche Nackedei-Szenen) dargeboten, während der eigentliche Held des Films ob dieser freizügigen Gesellschaft immer mehr in Bedrängnis gerät.
So ignoriert er auch die Einflüsse der keltisch-heidnischen Mythen auf die moderne (religiöse) Gesellschaft, die er so propagiert: Sei es der sog. Märzhase (der heutige Osterhase!) oder das Aufstellen eines Maibaumes (die Kelten sahen in ihm ein Phallus-Symbol, welches in die fruchtbare Erde gesetzt wird, um die Entstehung von Leben, bzw. eine reiche Ernte zu begünstigen).
An einigen Stellen wird der Film gar zum Musical (es erklingen uralte, schottische Volkslieder) und bestärkt damit den oftmals surrealen, sonderbar-schrulligen Charakter der Films.
Interessant ist auch, dass im Film gleich 2 Darsteller aus vielen der tollen Hammer Studios-Horrorfilme mitspielen: Christopher Lee (welcher für "The Wicker Man" keine Gage verlangte und seine Rolle als Lord Summerisle als die beste seiner Laufbahn bezeichnete) und Ingrid Pitt.
Als spannungsgeladener Horrorfilm funktioniert "The Wicker Man" im übrigen kaum, ebenso wenig ist er mit heutigen Sehgewohnheiten kompatibel. Es gibt kaum Action oder gar Grusel, Blut fließt nur wenig. Stattdessen wechseln sich grandiose Landschaftstableaus mit ebenso grandiosen Bildern des subtilen Grauens ab, schwankt der Film stimmungsmäßig zwischen typisch britischem, verschrobenem Krimistück, subversiver Hippie-Burleske und unheimlichem Mysterienspiel, das am Ende grandios (wenn auch nicht wirklich überraschend) aufgelöst wird.
Der Film wird von einer sehr merkwürdigen surrealen Poesie getragen, die den Film aber dennoch nicht seiner abgründigen, gemeinen Pointe beraubt. Überhaupt ist "The Wicker Man" bei aller Verschrobenheit ein unangenehmer, beklemmender Film, der noch ganz ohne billige, plakative Schockeffekte auskommt.
Leider ist das komplette Ausgangsmaterial der ursprünglichen Langfassung verloren gegangen. Der britische Verleih des Films (weiß leider nicht, wie dieser hieß) fertigte eine kürzere 99 Minuten-Fassung an, die heute als Director´s Cut bezeichnet wird, obwohl diese Version bereits gekürzt worden war. Schließlich wurde diese Version dann auf eine nur noch 84 minütige Fassung "runter"geschnitten, diese lief dann im Doppelprogramm mit "Dont look now" (Wenn die Gondeln Trauer tragen, Regie: Nicolas Roeg) in den britischen Kinos. Der "Director´s Cut" galt als vernichtet. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass die B-Film-Legende Roger Corman* (dem der Film vorher mal zum Exklusiv-Vertrieb in den USA angeboten worden war.) noch eine Kopie dieser Fassung besaß, so dass zumindest diese Version "gerettet" werden konnte.
Ein echter Kultfilm, der vor kurzem endlich in Deutschland erschienen ist (auf DVD von Kinowelt; enthalten sind die alte Kinofassung und der Director´s Cut, beide OmU, da es keine deutsche Synchronisation gibt).
Gehört zu meinen absoluten Lieblingsfilmen, die ich mir immer wieder anschauen kann und trotzdem jedesmal wieder neue Details entdecke!
Allein der Schmerz vermag es, dich spüren zu lassen, dass du wirklich existierst.
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