Klass - Chronik einer Katastrophe

    • Klass - Chronik einer Katastrophe



      Produktionsland: Estland
      Produktion: Ilmar Raag / Riina Sildos
      Erscheinungsjahr: 2007
      Regie: Ilmar Raag
      Drehbuch: Ilmar Raag
      Kamera: Kristjan-Jaak Nuudi
      Schnitt: Tambet Tasuja
      Spezialeffekte: Armin Altorf / Lauri Laasik
      Budget: ca. -
      Musik: Martin Kallasvee / Paul Oja / Timo Steiner
      Länge: ca. 98 Minuten
      Freigabe: FSK 16
      Darsteller: Vallo Kirs, Part Uusberg, Lauri Pedaja, Paula Solvak, Mikk Mägi, Riina Ries, Joonas Paas, Kadi Metsla, Triin Tenso, Virgo Ernits, Karl Sakrits, Liina Joonas, Saara Kadak, Kaspar Kannelmäe, Britta Kikas


      Wegschauen oder eingreifen? Mitmachen oder sich in den Weg stellen? Auch wenn das eigene Leben in Gefahr gerät? Joosep ist der Prügelknabe der Klasse. Auch für Kasper. Doch eines Tages kommt Kasper seinem Klassenkameraden zu Hilfe und gerät damit ebenfalls in die Schusslinie. Ein System von Demütigungen und Gewalt wird in Gang gesetzt. Schließlich sehen die beiden Jungen nur noch einen Ausweg. KLASS erzählt in dokumentarisch anmutenden Bildern die ebenso beunruhigende, wie erschütternde Vorgeschichte eines Amoklaufs, bei der die Grenzen zwischen Opfern und Tätern fließend sind.







      Deutsche DVD Fassung: 18.03.2010 ( Verleih: 22.02.2010 )




      Die Chronik eines Amoklaufs


      Wie oft ist man in den letzten Jahren mit Amokläufen an Schulen konfrontiert worden, so das schon teilweise der Eindruck entstanden ist, das es sich um eine Art neuen Volkssport handelt? Und immer wieder trauert man um die Opfer, die aus scheinbar nicht nachzuvollziehenden Gründen ihr junges Leben lassen mussten. Die Täter hält man für psychisch krank und sieht in ihnen zumeist seelenlose Monster, die sich anscheinend einen Spaß daraus machen, ihre Mitschüler scheinbar mutillig und vollkommen willkürlich zu töten. Das eine solche Tat aber auch aus vollkommen anderen Beweggründen geschehen kann, zeigt dieser estnische Beitrag auf sehr schockierende, aber auch äusserst eindrucksvolle Art und Weise. Bei "Klass" bekommt es der Zuschauer mit einem Jugenddrama zu tun, das schonungslos das perfide System des Schulmobbings durchleuchtet und dabei eine so ungeheure Intensität entwickelt, das einem die Haare zu Berge stehen. Wenn man diesen Film gesehen hat, gibt es zwar immer noch keinen Grund, die Taten eines Amokläufers zu rechtfertigen, aber man ist doch dazu in der Lage, eine gewisse Art von Verständniss dafür aufzubringen, ohne jedoch die Taten gutzuheissen.

      Im Vordergrund der Geschichte steht nicht die Tat an sich, sondern vielmehr eine Chronik der Geschehnisse, die zu ihr geführt haben. Regisseur Ilmar Raag erzählt diese Chronik, die lediglich 7 Tage dauert, in einer schockierenden, gleichzeitig aber auch absolut faszinierenden Art, die einem phasenweise kalte Schauer über den Rücken jagt. Das ist ganz sicher auch in der extrem realistischen und authentischen Szenerie begründet, die sich dem Zuschauer offenbart, denn nicht selten entsteht der Eindruck, das man sich vielmehr in einem wirklich geschehenden Szenario befindet, als das man einen Spielfilm schaut. Das Geschehen fesselt einen auf seine ganz eigene Art, wirkt aber gleichzeitig auch abstossend und vollkommen schockierend. Man fühlt sich nicht selten einer Ohnmacht nahe, denn möchte man doch einerseits den beiden Mobbingopfern Jossep und Kaspar zur Hilfe eilen und sich mit ihnen zusammen gegen den restlichen Klassenverbund entgegenstemmen, der unter dem Befehl des Anführers Anders steht, muss aber andererseits die Hilflosigkeit akzeptieren, zu der man als Zuschauer verdammt ist.

      Und gerade dieses ohnmächtige Gefühl der Hilflosigkeit ist es, das sich durch den gesamten Film zieht und eine unbändige Wut in einem selbst aufsteigen lässt. Das geschieht aber keineswegs nur deshalb, weil man selbst zur Untätigkeit verdammt ist, sondern auch deshalb, weil hier wirklich alle Personen wegsehen, oder genau die falschen Hilfeleistungen anbieten. So ist es die gesamte Schule, die hier im Prinzip über das vorherrschende Mobbing informiert ist, jedoch findet sich nicht eine Person, die wirklich etwas gegen die immer mehr eskalierenden Handlungen unternimmt. Und dann sind da noch die Eltern von Joseep, die selbst, als er mit mehreren Hämatomen aus der Schule kommt, noch von harmlosen Hänseleien sprechen. Vor allem sein Vater, der einem typischen Macho gleicht, hat keinerlei Verständnis für die Opferrolle seines Sohnes und rät ihm lediglich, das er umso fester zurückschlagen soll. Seine Mutter hingegen macht den grössten Fehler, indem sie die Schule informiert, das ihr Sohn mishandelt wird.

      Nun ergibt es sich dadurch schon fast zwangsläufig, das sich das Mobbing immer weiter verstärkt und dabei Ausmaße annimmt, die nicht mehr zu kontrollieren sind. Selbst einige Mitschüler wenden sich angewidert von den Rädelsführern ab, da sie ihre Taten nicht mehr gutheissen können. Doch ist es mittlerweile schon viel zu spät und eine Situation am Strand, die vollkommen eskaliert und eine Demütigung sondergleichens an den tag legt, ist der Funke, der das Fass zum explodieren bringt. Die sich daraus ergebende Reaktion der beiden Opfer ist schon fast als logisch anzusehen und so nimmt das Unheil seinen Lauf und endet am nächsten tag in der Schule in dem finalen Showdown, der sich im Amoklauf der beiden Mobbingopfer äussert. Dabei ist es nicht nur die Tötung mehrerer Schüler, die einen absolut fassungslos macht, sondern insbesondere die mehr als tragische Reaktion von Joseep, kurz bevor die Polizei eintrifft. Denn in seiner Reaktion auf die Ereignisse liegt die gesamte Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit eines jungen Menschen, der innerlich schon längst gestorben ist und nicht aus seiner Hilflosigkeit heraus kann.

      Ilmar Raag hat hier ein wirklich beeindruckendes Stück Film geschaffen, das mit einer ungeheuren Härte auf den Betrachter einschlägt und ihn in gewisser Weise selbst zu einem hilflosen Opfer macht, da er zum Zuschauen verdammt ist und trotz des vorhandenen Willens zu keiner Zeit in das Geschehen eingreifen kann. Die Intensität, die diese estnische Produktion entfaltet, ist extrem hoch angesiedelt und so manche Situation ist wie ein körperlicher Tiefschlag, den man förmlich spüren kann. Dazu tragen vor allem die herausragenden Jung - Darsteller bei, die dem Geschehen einen mehr als authentischen Eindruck verleihen. Ihr dargebotenes Schauspiel ist erschreckend realistisch und hält dem Zuschauer die Verrohung der heutigen Jugend auf erschreckende Art und Weise vor Augen. Begriffe wie Rücksicht, Anteilnahme oder Hilfe scheinen hier absolute Fremdworte zu sein. Ohne Rücksicht auf die gefühlslage eines anderen Menschen werden hier systematisch zwei junge Menschen zerstört und gedemütigt, bis sie im Endeffekt keinen anderen Ausweg mehr sehen, als das sie sich von ihren Peinigern für immer befreien.


      Fazit:


      "Klass - Chronik einer Katastrophe" sollte ein mahnendes Beispiel dafür sein, wie schnell aus anfänglichen Hänseleien eine Katastrophe entstehen kann, die eigentlich jederzeit hätte aufgehalten werden können, wenn sich einige Personen etwas intensiver mit den Vorfällen beschäftigt hätten. Gleichzeitig wird einem aber auch die teilweise vorhandene Gleichgültigkeit der heutigen Zeit vor Augen geführt, so das Situationen immer erst eskalieren müssen, bevor sich einem die Ernsthaftigkeit der Handlungen und deren Wirkung auf andere erschließt. Ein Film, der sehr nachdenklich stimmt und auch einen sehr nachhaltigen Eindruck im Gedächtnis des Betrachters hinterlässt. Das hier gezeigte Geschehen ist absolut realistisch und zeigt einmal mehr, das wegschauen nicht immer die richtige Maßnahme ist, manchmal sollte man die innere Gleichgültigkeit überwinden und vielmehr eine ordentliche Portion Zivilcourage an den Tag legen, um eventuell deeskalierend einwirken zu können.


      Die DVD:

      Vertrieb: Ascot Elite
      Sprache / Ton: Deutsch DD 2.0
      Bild: 1,85:1 (16:9)
      Laufzeit: 98 Minuten
      Extras: Trailershow


      [film]10[/film]
      Big Brother is watching you
    • Wird am 18. März 2010 auf DVD erscheinen, ist sofort auf
      meiner Wunschliste gelandet.
    • Der Film präsentiert zunächst die moderne Jugend, mit gestylten Mädels, die reichlich Make-Up aufgetragen bekommen haben, auch der EMO Verschnitt bleibt uns nicht erspart. Die Jungen präsentieren hier sehr moderne Mode, sprich Marken-Klamotten.
      "Klass" ist ein Film, der mich aufgrund der zu modern wirkenden Kinder Anfangs noch skeptisch machte, dann aber langsam eine Richtung einschlägt, die Jubel-stürme in mir auslösten. "Klass" zeigt unsere moderne Teenager/Kinder Genration mit kritischster Berichterstattung. Wieso gibt es in den letzten Jahren zunehmend Selbstmorde an Schulen? "Klass“ erklärt es euch in einem spannenden Film, so gesehen ist das Werk auch eine Berichterstattung auf wahrer Begebenheit. Erst als Schikane gedacht, wird sogar aufgezeigt, wie die Außenseiter die Embleme der Markenklamotten an ihren eigenen Sachen selbst herumschnipseln, denn sie wollen damit zeigen, dass nicht die besten Klamotten entscheidend sind, ob jemand anerkannt wird oder nicht. Sehr brutal und unzensiert ist vor allem der Showdown, die Beweggründe dafür werden zuvor klar gestellt. Absolut zu würdigen sind auch die Schauspielleistungen, nicht nur die sehr authentisch speilenden Kinder, sondern selbst die Lehrer und Eltern wirken vollkommen echt. "Klass" ist in meinen Augen ein Meisterwerk aus..., hol einem der Kuckuck, man möchte es kaum glauben... ESTLAND. Wohl das so ziemlich unscheinbarste Film-Land in Europa. "Klass" ist ein Stück Independent Geschichte und mehr als nur ein Film.

      [film]10[/film]

      (PS.: ich würde auch den Film "Ben X" empfehlen, zwar etwas andere Thematik, aber auch ähnlich authentisch rüber gebracht.)
    • @Christian, es freut mich wirklich sehr, das auch Du diesen wirklich fantastischen Film so zu schätzen weist. Aber hier war ich mir auch ziemlich sicher, das wir beide einmal der gleichen Meinung sind. :prop:

      Und Leute, ich kann Euch wirklich allen nur empfehlen, diesen grandiosen und schonungslosen Film anzuschauen, denn es lohnt sich wirklich. :6:
      Big Brother is watching you
    • Kommt bei den neuren Filmen ja nicht so oft vor mit Meinungsgleichheit, wurde somit auch mal wieder Zeit. Das Drama sollte man auf jedenfall gesehen haben, wenn einem diese Thematik interessiert.
    • An sich ein guter Film, der einen zum Nachdenken bring und einen wütend macht.Leider fand ich das Ende viel zu schnell. Eigentlich erwartet man hier ein Versteckspiel zwischen den Beiden und den Schülern und Lehrern. Die beiden laufen einfach seelenruhig in die Schulkantine, erschiessen ihre Peiniger und das wars...eine Sache von 2-3 Minuten. Hatte mehr Spannung erwartet. Ausserdem war die Synchro an manchen stellen lächerlich.
      Dennoch kann man sich den Film durchaus einmal ansehen.

      [film]7[/film]
      "Die schönsten Torpedos in den Rohren, das Stück für fünfundzwanzigtausend Mark, und alles was wir brauchen ist für fünzig Pfennig alter Draht..."

      "Der Genuss einer guten Zigarre lässt uns an Zeiten zurückerinnern, die es gar nicht gegeben hat." (Oscar Wilde)
    • der film regt einen so auf, das ist unglaublich! wirklich da bekommt man direkt bock den jungs auf die fresse zu hauen.und wenn man mal bedenkt, das es an manchen schulen tatsächlich so abgeht...echt krass.
      und der film ist echt mega authentisch.

      @pave: grade das fand ich gut. zack und auf einmal isses das gewesen. so lange zeit wurden die beiden runtergemacht und dann nur n paar sekunden und ende.

      [film]10[/film]
      "One side of me says, I'd like to talk to her, date her. The other side of me says, I wonder how her head would look on a stick? " (Edmund Kemper)
    • Ich finde es immer wieder erschreckend wie durch Lappalien solch Mobbingopfer gewählt werden, sich in der Klasse dann solch eine "diktatorische" Gruppendynamik bildet und alle zu Mitläufern werden. Wie mies dann gegen das oder die Opfer vorgegangen wird ist unfassbar. In unserer Gesellschaft muss sich schon so lange so dringend etwas ändern..

      Ein schockierend authentischer Film, nur die Pädagogen haben mich teilweise nicht ganz überzeugt. Auch die Handlung wirkte zuerst etwas tapsig auf mich, aber ein Blick in die Nachrichten oder in seine eigene Schulzeit genügt um zu wissen, dass es genau so banal laufen kann. 8-9/10
    • Hört sich gut an. Werde ich mal ins Auge fassen.
    • Original von Wassilis:

      Hört sich gut an. Werde ich mal ins Auge fassen.


      Lohnt sich.
    • Ist auch sehr billig zu bekommen bei Amazon.
    • Original von sid.vicious:

      Wird am 18. März 2010 auf DVD erscheinen, ist sofort auf
      meiner Wunschliste gelandet.



      Hast Du den geschaut?
    • Wow was für ein packender und bedrückender Film. Klass ist ein Estländisches Drama welches ziemlich authentisch die Chronik eines Amoklaufs darstellt und das mit einer so intensiven und bedrückenden Energie das man die ganze Zeit gespannt auf den Bildschirm schaut. Der Film ist dokumentarisch aufgebaut was sehr zur bedrückenden und depressiven Atmosphäre beiträgt und die Geschichte gut erzählt. Die Darsteller können allesamt gut überzeugen und man bekommt beim zu sehen der mobbenden schon selber eine tierische Wut auf diese Schüler. Der Schüler Kasper, zu Anfang noch ein angesehener und integrierter junge der zur großen masse der Klasse gehörte, kann es nicht mehr mit ansehen wie der Rest der Klasse den Schüler Joosep mobbt und demütigt. Daraufhin hilft und schützt er ihn und gerät dadurch selbst ins Ziel und muss auch so einige Erniedrigungen über sich ergehen lassen. Das ganze nimmt dann solche Ausmaße an, dass selbst seine Freundin ihn verlässt, weil sie sich auch den Oberflächlichkeiten der Klasse hingibt und nicht ausgeschlossen werden möchte. Der Film stellt die Frage mit machen oder eingreifen? und mit dieser Frage setzt sich der Film auseinander und kann in beunruhigenden wie erschütternden Bildern die Chronik eines Amoklaufs aufzeigen. Das Finale des Films kommt dann noch richtig ergreifend daher und lässt sicher niemanden kalt.

      [film]8[/film]
    • Wassilis schrieb:

      Original von sid.vicious:

      Wird am 18. März 2010 auf DVD erscheinen, ist sofort auf
      meiner Wunschliste gelandet.
      Hast Du den geschaut?

      Ja, hat aber 8 Jahre gedauert.

      Es gelingt der Inszenierung, den Rezipienten voll und ganz für sich zu gewinnen. Aber: auch wenn die Anteilnahme an den Schicksalen zweier Personen fundiert wird, funktioniert KLASS primär auf übergeordneter Ebene.

      Ich sage es mal mit den Worten von Ex-Fußballprofi Paolo Di Canio, der sich zu den Gewalttätigkeiten von Lazio-Ultras gegenüber des Profiteams und Ausschreitungen nach dem "römischen Derby" folgendermaßen äußerte: „Ich kann das verstehen, aber akzeptabel ist das natürlich nicht.“