Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen - Roland Seim (Sachbuch / Interview)

    • Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen - Roland Seim (Sachbuch / Interview)



      Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen

      Eine medien- und rechtssoziologische Untersuchung zensorischer Einflussnahmen auf bundesdeutsche Populärkultur auf bundesdeutsche Populärkultur

      Autor: Roland Seim
      Verlag: Telos Verlag
      Seiten: 556
      Erschienen: 1997
      ISBN: 978-3933060006


      Habt ihr nicht auch schon einmal auf Fragen wie „Wie funktioniert die FSK oder BPS?“ oder „Warum wird in Deutschland soviel Zensiert und Verboten?“, Antworten gesucht? In den 556 Seiten starkem Werk des Autors Dr. Roland Seim findet man sicher so manche Antwort.
      Dr. Roland Seim ist u.a. auch Autor und Herausgeber von Büchern wie „Ab 18“ und „Comics – Zensiert“ welche sehr großen Zuspruch fanden. Mit diesem Buch liefert er sein bisher umfangreichstes Werk ab, welches alle Bereiche der Zensur und der damit verbundenen Institutionen abdeckt. Jedes Kapitel näher zu beleuchten, würde sicher den Rahmen sprengen, denn meiner Meinung nach wurden alle Aspekte der Zensur in Deutschland berücksichtigt, auch wenn man einiges sicher nur am Rande anschneiden kann.
      Das Buch beginnt mit der Zensurgeschichte in der NS-Zeit und arbeitet sich über die Nachkriegszeit bis zum Jahre 1998 vor. Ein kurzer Abschnitt beschäftigt sich sogar mit der Zeit der Antike. Dabei werden sämtliche Bereiche, die von Zensur in jeglicher Form betroffen sind beleuchtet. Dabei wird die Themenpalette von Selbstzensur bis zu staatlichen Eingriffen abgedeckt. Einige Kapitel setzen sich zum Beispiel mit dem Zusammenhang von Gesellschaft und Zensur auseinander. Andere wiederum gehen auf die rechtliche Situation ein und in weiteren Abschnitten werden die verschiedenen Kontrollinstitutionen wie FSK, FSF, BPS usw. beleuchtet.
      Nachdem alle Möglichkeiten der Zensur betrachtet wurden, geht es mit konkreten Fällen aus Film, Musik, Comic und TV weiter. Sehr interessant dabei sind sicher für den Leser dieses Online-Fanzines, die Abschnitte über Horror- und Splatterfilme. Auch der Rechtsrock wird durchleuchtet. Einige Fälle sind sicher schon bekannt, doch nirgends bekommt solche Ausführlichen Informationen und Erklärungen zu den einzelnen Themen wie in diesem Buch. Dabei werden die verschiedenen Möglichkeiten der Zensur von Platten, Filmen und Comics aufgezeigt und die Rolle des Staates dabei betrachtet.
      Zum Ende des Buches werden einige Blicke ins benachbarte Ausland und nach Amerika getan, welche aber das Thema nur grob anreißen, da die Fallbeispiele hier ebenso umfangreich sind wie in Deutschland. Im Anhang gibt es noch einige Abbildungen mit Zensurbeispielen sowie hunderte von Quellenangaben.
      Das Buch ist in seinem Aufbau sinnvoll und sachlich gegliedert. Der Autor versucht stets, objektiv zu bleiben, obwohl dies anhand einiger Zensuraktivitäten sicher schwer gefallen sein dürfte. Dabei sollte auch immer bedacht werden, dass es sich bei diesem Buch um eine wissenschaftliche Abhandlung handelt, die sich nicht immer leicht lesen lässt. Es werden viele Fachbegriffe verwendet, für die es sicher ratsam ist, ein Fremdwörterlexikon bei der Hand zu haben. Wenn man sich aber erst einmal fest gelesen hat, wird das Buch zu einer wirklich interessanten und fesselnden Reise durch die Thematik der Zensur.

      Subhero

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von subhero ()

    • Roland Seim – Interview

      Das folgende Interview führte ich Ende 1998 für mein Fanzine PLA-C-BO mit Dr. Roland Seim zu seinem Buch „Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen“.
      Bitte denkt beim lesen immer daran, dass dieses Interview über 10 Jahre auf dem Buckel hat und auch der Fragensteller war noch nicht mit der Weißheit letzten Schuss gesegnet war.




      Stell dich doch bitte erste einmal vor und wie kommt man auf die Idee, sich mit dem Thema Zensur in Deutschland so intensiv auseinander zu setzen.

      „Name: Roland Seim, geboren am 11.07.1965 in Münster, Kunsthistoriker, Soziologe, Autor, wissenschaftlicher Mitarbeiter (gähn!).
      Schon seit Anfang der 80er Jahre interessiere ich mich für (Horror-) Filme und sonstiges (verbotenes) Material. Na ja, und während des Studiums machte ich es mir dann zur Aufgabe, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und suchte zu erforschen, was denn die Leute zum einen an Merkwürdigem so fasziniert und zum anderen, wie verschiedene Interessengruppen diese Vorliebe kanalisieren. So behandelte meine kunsthistorische Magisterarbeit Anfang der 90er Jahre das Thema „Die Darstellung von Erso und Thanatos also Sex und Tod) bei Alfred Kubin“. Dr. Josef Spiegel, ein befreundete Kollege, fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm ein soziologisches Seminar über Zensur in Deutschland zu veranstalten. So entstand die Ausstellung und das Katalogbuch „ab 18“. Mit Achim Schnurrer vom Alpha Comic Verlag machten wir zum Erlanger Comic-Salon’ 96 das Buch „Comic: zensiert“. Prof. Horst Hermann bot mir an, bei ihm zu promovieren und so entstand meine soziologische Dissertation „Zischen Medienfreiheit und Zensureingriffen“, die ich im Selbstverlag (Telos Verlag) vertreibe. Da man davon freilich nicht leben kann, bin ich froh, wenigstens noch bis Oktober ’99 eine ABM – Stelle bei der Landesbildstelle Westfalen zu haben. Ehrenamtlich bin ich noch Erster Vorsitzender des Vereins „Gegen Zensur- für die Freiheit der Kunst e.V.“.“


      Würdest du dich selbst als Fan eines Bereiches wie Film oder Literatur sehen, hast du eine Vorliebe für ein bestimmtes Genre, oder interessierst du dich halt einfach so für das Thema? Wie objektiv kann man als Autor an das Thema „Zensur“ herangehen, oder spielen auch eigene Ansichten über diverse Filme und andere Medien eine Rolle, die denen du trotz Verbot für den Angeklagten entscheiden würdest?

      „Klar muss man schon Fan solcher Sachen sein, um sich all die ganzen Jahre mit gelegentlich recht eigentümlichen Phänomenen zu beschäftigen. Als Kunsthistoriker bin ich eher visuell geprägt; mir liegen vor allem Bilder, Filme und Comics am Herzen. An dem Umstand, dass man seine Forschungsobjekte selber schätzt, liegen Chancen (z.B. Insiderwissen) aber auch Risiken (der unbefangene und vorurteilslose- objektive Forscherblick leidet). Die eigenen Ansichten sollte man beim „Erkenntnisleitenden Interesse“ möglichst außen vor lassen- in realiter legt man sich aber schon bei der Wahl des Objektes der wissenschaftlichen Begierde fest, sollte aber für die Argumente möglichst vieler Seiten offen sein. Na ja, und wer meine Bücher kennt, merkt schnell, dass ich in aller Regel eher auf der Seite der Zensuropfer stehe, soweit es sich nicht um Fälle handelt, die ich unter Frage 6 erwähne.“


      Jetzt speziell auf das Thema Film bezogen. Hast du die in „Ab 18“ und „Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen“ beschriebenen Filme alle gesehen und was hältst du von der Zusammenstellung der BPS Liste nach §131?

      Tatsächlich habe ich die meisten der in meinen Büchern erwähnten Filme auch gesehen; wenn auch viele nicht bis zum bitteren Ende. Einige der Streifen – machen wir uns nichts vor – waren so grottenöde, dass der Finger an der Vorspultaste die eigentliche Hauptrolle übernahm. Andere Machwerke, wie z.B. „Guinea Pig“, konnte ich mir echt nicht am Stück angucken. Selbst meine sonst in solchen Sachen nicht zimperliche Freundin plädierte nach der Hälfte für Abbruch des Versuchs. Nun zur BPjS und ihren Listen. Formal ist das eine Bundesbehörde, die die gesetzliche Aufgabe hat, alle indizierten und verbotenen Medien aufzulisten, damit Polizei, Pädagogen usw. wissen, was nicht in die Hände von Minderjährigen fallen sollte bzw. was Gerichte total verboten haben. Tatsächlich dürften diese praktischen Indices aber den Effekt von Suchlisten für Giftschrankbestände haben. Gerade die exakten Internet- Adressen z.B. sind ja auch in Jugendschutzkreisen stark umstritten, denn solche Listen waren schon immer zweischneidig.“


      Was viele sicher interessieren wird; musstest du dir die Filme, Comics, Bücher usw. wie viele andere auch im „Untergrund“ besorgen oder hast du freien Zugang zu der so genannten Asservatenkammer?

      „Um an solche Sachen heranzukommen, braucht man Beharrlichkeit und viel Glück auf Flohmärkten, Börsen etc., denn natürlich habe ich keinen freien Zugriff zu Asservatenkammern von Gericht und BPjS (da würde ich gern mal’n Nachmittag verbringen!). Aber im Laufe der Zeit hat man eine Menge Leute kennen gelernt und einen gewissen Namen, der einem manche Tür leichter öffnet. So sind viele Zensuropfer erfreut, wenn man sich ihres Falles annimmt und stellen gerne Material zur Verfügung. Ohne deren Mithilfe wären wir etwa nie an Gerichtsurteile herangekommen, die in „Ab 18“ abgedruckt sind.“


      Kleine Frage am Rand. Hast du irgendwelche negativen Nebenwirkungen durch den Konsum der vielen gefährlichen Medien bemerkt?

      „Viele Dinge des alltäglichen Lebens erscheinen in einem anderen Licht: so geht einem etwa der unbefangene Umgang mit Werkzeug ab und meinen Zahnarzt sehe ich auch mit ganz anderen Augen. Aber im Ernst, wer durch solche Medien zum Strolch wird, wäre es auch ohne sie geworden.“


      Gibt es für dich Darstellungen, wo auch du sagst, dass hier eine Zensur eingreifen muss?

      „Ja klar; der Spaß hört spätestens dann auf, wo Menschen gegen ihren Willen zu etwas gezwungen werden, das sie nicht wollen. Film ist ein Kunstmedium, und Vergewaltigung, Kinderschändung oder Mord bleiben Verbrechen, auch wenn sie aufgezeichnet werden. Darüber hinaus halte ich (Gewalt propagierende) Fascho- Inhalte für sehr fragwürdig, obwohl ich mich mit (vermutlich eh wirkungslosen) Verboten da etwas schwer tue.“


      Was meinst du zur Kriminalisierung von Fans, wenn sie sich die gesuchten Objekte auf meist illegalem Weg (Bootlegs, Raubkopien usw.) besorgen.

      „Ähnlich wie bei der Drogenpolitik finde ich auch hier die Kriminalisierung von Fans illegaler Medien fragwürdig. Razzien, Beschlagnahme von Kundendateien, Lockangebote durch V-Männer oder Hausdurchsuchungen halte ich für völlig überzogen. Anderseits scheint das vielen Fans erste den richtigen Kick zu geben, wenn ständig die Polizei droht.“


      Wo, oder wie, siehst du die Rolle des deutschen Jugendschutzes in einem vereinten Europa und wird dieser angesichts der lockeren Handhabung anderer Länder noch eine Daseinsberechtigung haben?

      „Da müsste ich jetzt weit ausholen. Ich meine, richtig praktizierter Jugendschutz ist eine notwendige Sache. Wenn ich mich erinnere, wovor ich mich als kleiner Junge noch gegruselt habe, da graust es mir, was die Kids heute schon im Kindergarten alles kennen. Aus Sicht des Fandoms halte ich den Jugendschutz und die Indizierung für ein sekundäres Problem (für die betroffenen Verlage / Labels haben sie indes gravierende Folgen), denn die Medien existieren ja noch – bedenklicher finde ich die bundesweiten Totalverbote, die durch x – beliebige Amtsrichter verfügt werden. Auf europäischer Ebene schätze ich, dass sich die liberalen Länder wie Holland kaum durchsetzen können; vermutlich wird sich das auf ein Mittelmaß einpendeln. Großen Einfluss auf den Kontinent hat nach wie vor die Entwicklung in den USA. Über kurz oder lang werden hier ähnliche Zustände herrschen.“


      Erkläre doch einmal die rechtliche Lage für deine Bücher. Besteht die Möglichkeit, dass auch diese indiziert werden können?

      „Unsere Bücher befinden sich auf dem schmalen Grad, der durch den Wissenschaftsvorbehalt in Art. 5 des Grundgesetzes gebildet wird. Dort ist festgelegt, dass Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind. Wobei es auch hier Grenzen der Freizügigkeit gibt. Auch das Jugendschutzgesetz untersagt die Indizierung von Werken der Forschung, Zeitgeschichte etc. Die BPS kennt unsere Bücher; Rudolf Stefen (Vorsitzender der BPS – Anm. subhero) hat sogar einen Beitrag beigesteuert und freundliche Rezensionen verfasst. „Ab 18“ wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für Soziologie der Universität Münster erstellt, „Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen“ ist eine Doktorarbeit. Wenn die verboten würde, gäbe das einen Riesenaufschrei in der „scientific community“ (hoffentlich). Insofern hat man da schon eine Nische gefunden. Das Finanzamt hingegen hat am Anfang versucht, uns den vollen MwSt- Satz aufs Auge zu drücken; nach einem Gutachten eines Professors dann aber von weiteren Schritten abgesehen.“


      Warum glaubst du, sind die deutschen Jugendschützer noch nicht weiter auf die unzähligen HK- und Japanstreifen aufmerksam geworden, obwohl nicht wenige das Maß an gezeigter Gewalt noch viel weiter treiben, als so mancher relativ harmloser, in Deutschland bereits beschlagnahmter Streifen?

      „Tja, dass wundert mich auch, vor allem wenn dann ein Film wie „Tetsuo II“ verboten wird, der nicht nur vergleichsweise harmlos, sondern zu dem auch noch richtig gut ist. In puncto asiatischer Hard Core wurden bislang fast nur S/M- Pornos u.ä. verboten; vermutlich dürften viele Gewaltfilme in absehbarer Zeit folgen.“


      Im Moment finden sich viele Filmfirmen (keine Bootleger!), die alte Filme ungeschnitten auf den Markt bringen. Meist bleiben diese auch noch von Jugendschützern unbeachtet, obwohl viele vor wenigen Jahren noch heftig diskutierte Titel dabei sind. Glaubst du, dass sich der Jugendschutz doch etwas gelockert hat?

      „Re- Issues von alten verbotenen Filmen unter neuen Namen oder Neuveröffentlichung auf DVD werden wohl nur kurzfristig ungeschoren davon kommen. Bislang beruhen Verbote solcher Filme auf Zufallsfunden der Ermittlungsbehörden; das ist aber kein Anzeichen für eine gelockerte Rechtslage. Wo kein Kläger, da kein Richter. Punktuelle Maßnahmen wie gegen Incredible Strange Video oder den Alpha Comic Verlag zeigen vielmehr, dass die Repressalien unverändert weiter gehen, wenn konkrete Fälle gefunden werden.“


      Wenn man dir den Vorsitz der BPS oder FSK anvertrauen würde, was würdest du zuerst und was allgemein ändern?

      „Jürgen W. Möllemann antwortete einmal auf die Frage, was er machen würde, wenn er für einen Tag die Macht hätte: Dafür sorgen, dass es nicht bei diesem einen Tag bliebe. Nun mag ich Möllemann nicht besonders, aber die Antwort ist ok. „Ist doch echt prima, König zu sein“ (Mel Brooks). Die Chefs von BPS und FSK haben leider nicht viel Macht, können also relativ wenig ändern. Lieber wäre ich Gesetzgeber – ha. Die Indizierungspraxis sollte gründlich überdacht und die Besetzung der Gremien verbessert werden. Medien gehören in aller Regel nicht in den Giftschrank, sondern in die Köpfe mündiger Bürger. Indizierungen von Büchern oder Tonträgern halte ich für besonders albern (z.B. „Die Ärzte“, „Die fantastischen Vier“, „NOFX“). Grundsätzlich sollten Indizierungen ein Verfallsdatum haben, als FSK- Chef würde ich verfügen, dass Filme in mehren Fassungen herauszubringen seien; Schnitte müssten kenntlich gemacht werden.“


      Welche Projekte stehen bei dir als nächstes auf dem Plan?

      „Josef und ich arbeiten gerade am zweiten Teil von „Ab 18“, der unter dem Titel „Der kommentierte Bildband zu Ab18“ für Frühjahr 99 geplant ist. Dummerweise bewegt man sich mit einem Bildband allerdings auf sehr dünnem Eis, da dass mit der Wissenschaftlichkeit schwer nachzuweisen ist. Mittelfristig sind auch monographische Bücher zu einzelnen Genres wie Film, Musik etc. geplant.“


      Zähl doch bitte fünf Filme und Bücher auf, die du am meisten schätzt.

      „Oh je, die „Einsame- Insel- Frage“ nach den All- time- favourites. Ich schätze eine ganze Menge Filme und Bücher, so dass die Antwort nur unvollständig sein kann. Beispiel Filme: Die frühen John- Carpenter- Filme, The Dead Zone, Die Zeitmaschine, Taxi Driver, Braindead, Tanz der Teufel. Bücher: Fachliteratur (alles über meine Themen); Belletristik liegt mir weniger, wenn dann skurriles à la Douglas Adams’ „Per Anhalter“ – Reihe.“


      Ein paar letzte Worte?

      „No risk – no fun! Lasst euch nicht unterkriegen und, na klar, kauft unsere Bücher.“